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... wer flüstert in der stillen Nacht?


Wenn ich an Weihnachten in meiner Kindheit zurückdenke, bekomme ich noch heute leuchtende, ein bisschen wehmütige Augen - schmerzlich vermisse ich die, die schon so lange vor der Zeit gehen mussten, allen voran meine Mutter, deren Todestag sich vor ein paar Tagen zum dreißigsten Mal jährte. Sie sorgte für die gemütliche und festliche Atmosphäre, für den Duft nach Orangen und Zimt, nach Rotkohl, Braten und Klößen – ihre Liebe gab Geborgenheit und hielt die Familie zusammen.

Auch wenn Religion bei uns keine große Rolle spielte – was bei einem Vater, der unter Adorno und Horkheimer Philosophie studiert hatte, nicht verwunderte – bildeten christliche Werte die Grundlage unserer Erziehung.

Im Gegensatz zu meinem Vater, den ich als Agnostiker bezeichnen würde, für den bis heute die Existenz einer Gottheit oder höheren Macht ungeklärt bleibt, glaubte meine Mutter an Gott, der allgegenwärtig in uns und in jedem Wesen stecken konnte und nicht in Kirchen zu finden war, deren Atmosphäre sie meist als bedrückend empfand. Sie war eine sehr sanfte und liebevolle Mutter, die uns beibrachte keinem Tier ein Leid anzutun – denn auch in jedem kleinen Käfer oder einer Maus könnte der liebe Gott sich gerade aufhalten, so sagte sie einmal zu mir.

Unabhängig von Kirche oder Religion, glaubten wir Kinder an's Christkind. Dieses Christkind, so stellte ich mir damals vor, war ein engelhaftes, leuchtendes Wesen, das in langem Nachthemd in die Wohnungen und Häuser schwebte, den Baum festlich schmückte und Geschenke darunter ablegte.

Man durfte es unter keinen Umständen sehen, wenn es den Baum schmückte, sonst könne es sich erschrecken und für immer verschwinden, weshalb wir Kinder bereits nach dem Mittagessen zum Mittagsschlaf auf unser Zimmer, bzw. in das Schlafzimmer unserer Eltern geschickt wurden und erst wieder herauskommen durften, wenn wir ein Glöckchen hörten. Wir wohnten in einem großen, ebenerdigem Haus, ein bisschen fußkalt, weshalb wir Strumpfhosen unter den Hosen und Hüttenschuhe trugen. Nun aber hatten wir Hausschuhe und Hosen ausgezogen und lagen, mit abgewetzten Strumphosenbeinen, von Wollknötchen übersät, im großen Bett unserer Eltern, deckten uns mit ihren riesigen Federbetten zu und fanden vor Aufregung auf das bevorstehende Weihnachtsfest, keinen Schlaf. Da unsere Eltern wussten, wie lange uns die Zeit würde, stand der ausrangierte Schwarzweißfernseher auf der Anrichte bereit. Eher früher als später flimmerten Karlsson vom Dach, Dick & Doof und Pippi Langstrumpf über die gewölbte, leicht grünliche Mattscheibe und erleichterten uns das Warten. Irgendwann, es war schon dunkel draussen, ging die Tür einen Spalt auf und Opa Max und Oma Frieda schlüpften herein. Da die beiden neben meiner Mutter noch zwei weitere Töchter und insgesamt acht Enkel hatten, machten sie alljährlich am Heilgen Abend eine Rundreise – am Nachmittag zu der einen, zur Bescherung zu der zweiten und zum festlichen Essen zur dritten Tochter – in abwechselnder Reihenfolge. In jenem Jahr waren sie bei uns bereits am Nachmittag und wir löcherten sie mit der Frage, ob es ihnen begegnet wäre, das Christkind? Mein Bruder Armin meinte, es gäbe vielleicht gar keines, während meine Schwester behauptete, sie hätte es schon einmal vorbei huschen sehen, als sie ein Jahr zuvor unter den Türspalt gespäht hatte. Ich, die jüngste von uns Dreien, glaubte sehr fest an seine Existenz, hätte es aber so gerne einmal mit eigenen Augen gesehen und überlegte, ob ich nicht doch kurz durchs Schlüsselloch schauen sollte. Opa Max hielt mich davon ab, indem er eine schaurige Geschichte über die Neugierde erzählte. Die Familie meiner Mutter stammte aus Oberschlesien, während Oma Frieda, nach Kriegsende mit drei kleinen Töchtern in den Westen fliehen musste, befand sich Opa Max in russischer Gefangenschaft, aus der er erst nach 10 Jahren zurückkehren sollte. Manchmal deutete er an, dass er im Krieg Dinge gesehen und erlebt hätte, die er kaum in Worte fassen und gerne vergessen würde - uns Kindern war dann immer etwas mulmig zumute. Er hatte diese tiefsinnige, ich nenne sie mal östliche Melancholie und war ein ausgesprochen gütiger, liebenswerter Mensch, der verschmitzt die Augenbraue hob, wenn er eine Geschichte erzählte. In Schlesien, so versicherte er uns, gab es einen Bauern, der so neugierig war, dass er überall seine Nase reinsteckte, auch in Dinge, die ihn nichts angingen – was ihm letztlich zum Verhängnis wurde. Wie ja alle wussten, war die heilige Nacht, eine Nacht der Nächstenliebe und der Liebe zu allen Geschöpfen und in solch einer Nacht seien die Tiere dem Menschen gleich und könnten miteinander sprechen. Der Bauer wollte das nicht glauben und sich lieber selbst davon überzeugen – alle Versuche ihn davon abzuhalten, weil es ihn nichts anginge, was die Tiere einander erzählten, schlugen fehl. Der neugierige Bauer ging am frühen Abend in den Stall und legte sich in den Futtertrog, bedeckte sich mit einem dicken Haufen Stroh, damit die Tiere ihn nicht sehen konnten und wartete auf die Nacht.

"Was geschah dann?", wollte ich wissen, "was haben die Tiere gesprochen?"

Opa Max schüttelte traurig den Kopf, das konnte der Bauer nicht mehr erzählen. Man fand ihn am nächsten Morgen tot im Trog, bei den Kühen.

Ob sein Herz aufgrund dessen, was die Tiere miteinander sprachen, stehen geblieben war oder er unter dem ganzen Stroh erstickte, keiner konnte das sagen.

Manchmal ist es besser einen starken Glauben und Vertrauen zu haben, beteuerte Opa Max - ihm jedenfalls, hatte sein Glaube immer Kraft gegeben und durch viele ausweglose Situationen geholfen.

Ab diesem Zeitpunkt wollte ich nie wieder durchs Schlüsselloch schauen, um das Christkind zu sehen. Es war ohnehin viel schöner daran zu glauben, wie es von Haus zu Haus schwebt und Licht und Fröhlichkeit in jedes Zuhause bringt.

Wie wunderbar war es, als das Glöckchen endlich klingelte und wir Kinder, andächtig und mit klopfendem Herzen, durch den langen Flur, in die große Diele unsers Hauses gingen. Das flackernde Kerzenlicht war schon zu sehen, bevor wir um die Ecke bogen - und da stand er nun, der lang ersehnte Weihnachtsbaum, riesengroß ragte er bis zur hohen Decke des Raumes. Er war über und über mit glänzenden Kugeln geschmückt, in welchen sich das warme Licht, der vielen Kerzen ins Unendliche spiegelte. Unsere Eltern empfingen uns freudig strahlend und auch die Großeltern, väterlicherseits waren zwischenzeitlich eingetroffen und lächelten bedeutungsvoll, während unsere Katzen bereits das Lametta von den Zweigen angelten. Unter dem Baum, zwischen all den schön verpackten Geschenken, standen Teller mit Mandarinen, Nüssen, Lebkuchen und selbst gebackenen Plätzchen. Und als wir uns allesamt mit leuchtenden Augen, im Halbkreis um diesen wunderschönen Christbaum aufstellten und ein ebenso lautes wie schiefes "Oh Tannenbaum" anstimmten, schielten wir Kinder bereits auf die vielen Päckchen und rätselten für wen wohl das besonders Große bestimmt war.

Im Esszimmer war der große runde Tisch zu einer festlichen Tafel ausgezogen und eingedeckt - es gab immer ein wunderbares Drei Gänge Menü, was meine Mutter scheinbar ganz nebenbei gezaubert hatte.


Alle Jahre wieder denke ich an diese schöne Zeit zurück und erinnere mich an viele kleine Geschichten – wie die, vom neugierigen Bauern. Und alle Jahre wieder überkommt mich eine leichte Melancholie und besinnliche Freude auf den heiligen Abend. – und dass Tiere sich miteinander verständigen, ja daran, glaube ich auch heute noch.


Gesegnet Weihnachten wünsche ich allen Menschen - ganz egal, an was sie glauben!




 


Und damit das Fest der Liebe so genüsslich wie früher, mit Klößen, Rotkraut und dem Duft nach einem Braten gefeiert werden kann, habe ich in der Küche gestanden und so lange probiert, bis ich eine "Bratensoße" hatte, nach der man sich alle 10 Finger leckt und die darüber hinaus glücklich macht, weil kein Tier dafür sein Leben lassen musste.



Hier gehts zum Rezept:


*der Beitrag darf gerne von allen lieben und wohlwollenden Menschen geteilt werden


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